Seepost von und nach Venezuela vor dem Eintritt des Landes in den Weltpostverein 1881

Am 15. September 1981 erschien in Venezuela eine Gedenkmarke, die an die 100-jährige Wiederkehr des Eintritts in den Weltpostverein erinnerte. Auf dem Landweg gab es seinerzeit eigentlich nur eine Postverbindung von der kolumbianischen Grenzstadt Cucuta nach Maracaibo. Da diese Provinzhauptstadt noch bis vor wenigen Jahrzehnten keine direkte Verbindung mit der Küste Kolumbiens hatte, existierte diese Verbindung noch bis in unsere Zeiten. Alle anderen Verbindungen Venezuelas mit dem Ausland gingen über den Seeweg. Vor mehr als 100 Jahren war Venezuela ein reines Agrarland mit relativ wenig Auslandsverkehr, der sich in erster Linie wiederum auf Städte und Häfen im nördlichen Küstenstreifen konzentrierte, wobei wir dazu auch Ciudad Bolivar am Rio Orinoco zählen müssen.

Rege Beziehungen bestanden um diese Zeit vor allem mit dem früheren Mutterland Spanien, mit England und Frankreich (Bordeaux und Le Havre) aber auch schon mit den Vereinigten Staaten. Aus diesem Grunde darf es uns nicht verwundern, dass Briefe etwa aus dem deutschen Staatenbund (mit Ausnahme von Hamburg), Belgien, Skandinavien und der Schweiz Seltenheiten darstellen. Nur ganz wenige Firmen hoben ihre Korrespondenz lange genug auf, sodass wir einige Namen immer wieder auf Briefen jener Zeit lesen. Da ist vor allem die Korrespondenz der venezolanischen Firmen "Kreutzer & Rividö" in Caracas-La Guaira, dann "H.L. Boulton" (englisch) hervorzuheben, gelegentlich findet man auch Post der Handelsfirma "Blohm & Co"; die beiden zuletzt erwähnten Häuser bestehen heute noch. Briefe nach Frankreich sind vor allem an das Handelshaus "Gaden & Klipsch" in Bordeaux gerichtet.

Venezuela schloss bereits 1841 mit England ein Postabkommen, das dazu führte, dass am 1. Januar 1842 das englische Konsulat in La Guaira eine Poststelle eröffnete, dem bald eine zweite in Puerto Cabello folgte. Eine dritte wurde später beim Vicekonsulat in Maracaibo eröffnet. Ungefähr 1866 wurde von der West Indian & Pacific Steamship Co auch eine Linie nach Ciudad Bolivar eingerichtet, die bis etwa 1877 bestand. Vorher ging die Post von Ciudad Bolivar über Demerara (heute Georgetown) im seinerzeitigen British Guayana, gelegentlich aber auch über Port of Spain (Trinidad). Vor mir habe ich ein Rundschreiben vom August 1866 der Fa. Heinrich Becker in Bremen, in welchem die Abfahrt des Segelschiffes "Angostura" mit Capt. Lösekann nach Ciudad Bolivar (früher Angostura) angekündigt wird; der Beleg wurde beim Th. & Taxis Postamt in Bremen aufgegeben (Einzelfrankatur der 1/3 Sgr durchstochen). England hatte um diese Zeit die intensivsten Schiffsverbindungen, vor allem nach Westindien. Diese dehnten sich vor allem nach Eröffnung der Panama Railroad Co (1850) auch stark nach der Westküste Lateinamerikas aus (Transit Panama).

Die Hauptausfuhrgüter Venezuelas waren seinerzeit vor allem Kakao, Kaffee, Häute und Indigo (Afiil). Dazu kamen ab Ciudad Bolivar vor allem Mineralien, Gold, Industriediamanten und last but not least Reiherfedern für die Modehäuser in Paris.

Da jeder Brief eigens verrechnet werden musste, stellen Briefe aus dieser Zeit interessante posthistorische Dokumente dar. Wer sich mehr für englische Postämter in Lateinamerika interessiert, dem sei der 5. Band der "Encyclopaedia of British Empire stamps" von Robson Löwe, London empfohlen; wen die privaten SchiffsbriefMarken in der Karibik interessieren, der nehme das Buch "THE PRIVATE SHIP LETTER STAMPS OF THE WORLD", Part l "The Caribbean" von S. Ringström & H.E. Tester zur Hand. Wir wollen uns hier nur mit Briefen aus der Markenzeit Venezuelas beschäftigen.


Abb. 1

Abb. l zeigt einen Brief, der am 23. Februar 1859 in Caracas nach Marseille aufgegeben wurde. Es ist dies das bisher früheste bekannte Datum der Verwendung der 2-Reales-Marke; die beiden anderen Werte zu 1/2- und l Real wurden schon im Januar herausgegeben. Die 2 Reales zahlten das Porto bis La Guaira. Die Aufschrift "Por el paquete" weist darauf hin, dass der Brief mit einem Schiff der R.M.S.P  (Royal Mail Steam Packet Co) befördert wurde. Die Schiffsagenten waren nicht nur englische Konsuln oder Vicekonsuln (Maracaibo), sondern hatten auch die Funktion eines Postmeisters. Anfänglich wurden die Marken Venezuelas entweder mit den vorphilatelistischen Stempeln oder mit Nummernstempeln entwertet. Vielfach wurde die englische Gebühr in Schilling und Pence angegeben, oder sie wurde durch andere Buchungsvermerke wie P.P. (postage paid), P.D. oder im Aufgabe- oder Durchgangsstempel ausgedrückt: La Guayra paid, London paid etc. Für durch die englische Schiffspost nach Frankreich beförderte Briefe bestand ein besonderes Postabkommen. Die Briefe erhielten die sog. Anglo French Currency Stamps bis 1856, von da ab trat die zweite Englisch-Französische Postconvention in Kraft, die bis 1875 gültig war. Briefe aus Britischen Kolonien oder fremden Ländern nach Frankreich erhielten den folgenden Verrechnungsstempel. Diese Gebühr wurde vom Empfänger in Frankreich eingezogen. 

Die Briefe hatten auch noch einen zweiten Buchungsvermerk (Korkstempel) in schwarz: 8, 10, 16 usw., die jeweils decimes darstellten und ebensovielen Pennies entsprachen. Das waren die Auslagen für den Transport innerhalb Frankreichs per Eisenbahn usw. Diese beiden Buchungsvermerke sehen wir auch auf dem abgebildeten Brief. Auf der Rückseite finden wir den roten Transitstempel "R P LONDON MR 21-59". Der Brief brauchte von Caracas bis Marseille 4 Wochen. Heute braucht ein Seebrief 2-3 Monate.

Auf der Vorderseite sehen wir den runden Transitstempel "ANGL(eterre) AMB(ulant) CALAIS 21 Mars 59".

In Abb. 2 haben wir einen Brief vor uns, der am 4. Febr. 1869 von Liverpool nach Caracas abgesandt wurde. Ausser dem Schiffsvermerk finden wir einen roten ovalen Stempel "PAID 5". Das Porto bis La Guaira betrug l sh. Der Empfänger B. Rividö & Co schickte ihn durch die eigene Agentur "HERNANDEZ & RIVIDÖ LA GUAYRA" nach Caracas und bezahlte den Mindesttarif 1/2 Real. Stempel: Adm. on de Correos La Guayra, Datum: 24? Febr. ohne Jahreszahl, wie üblich. Briefe aus dem Ausland mit venezolanischen Zusatzfrankaturen sind selten.


Abb. 2

Als Anfang der 60er Jahre die englischen Schiffe immer seltener venezolanische Häfen anliefen, machte die Regierung mit dem schottischen Kapitän Robert Todd einen Postbeförderungsvertrag, um die Seepost von Pto. Cabello und La Guayra nach St. Thomas zu befördern, wo sie sofort Anschluss an die von dort abgehenden Postdampfer nach England hatte. Todd erwarb einen ca. 250 Tonnen grossen Dampfer, der seinen Namen führte. Dieser Dienst wurde im Juni 1864 eröffnet. Der Vertrag sah vor, dass er berechtigt war, eigene Marken auszugeben, die - und das ist sehr beachtenswert — mit dem venezolanischen Poststempel entwertet wurden.


Abb. 3

Abb. 3 zeigt einen Brief, der am 17. Juni 1865 aufgegeben wurde. Die Gebühr für 1/2 oz. waren 2 Reales. Da er nach Frankreich adressiert war, erhielt er noch die Buchungsvermerke GB 1F60C und 8 (decimes). Rückseitig trägt er den roten Londoner Transitstempel vom 16. Juli 65 und diverse franz. Stempel vom 17. Juli. Diese Postverbindung — später nach Cura9ao ausgedehnt — lief unter der Firma J.A. Jesurun & Zoon in Cura- ?ao noch bis Anfang 1870 —. Diese Seepostmarken wurden schon vor 100 Jahren gerne gesammelt und wurden in den letzten 30 Jahren zu einem begehrten Sammelgebiet.

In der Zwischenzeit verbesserten die Engländer die Anlaufzeiten venezolanischer Häfen. Bis zur Einführung englischer Marken im August 1865 benützte das Postamt in La Guaira einen "gekrönten" Rundstempel "PAID AT LA GUAYRA" und ca. ab 1865 wurde ein Balkennummernstempel "C 60" und ein Datumsstempel eingeführt.


1868 wurden auch in Ciudad Bolivar englische Marken verwendet und mit dem Balkennummernstempel "D 22" oder Datumsstempel entwertet. Das Postamt in Pto Cabello wurde vor der Einführung englischer Marken geschlossen.

Briefe aus Maracaibo wurden durchwegs erst in St. Thomas mit dem Balken-Nummernstempel C 51 entwertet. In Abb. 4 haben wir einen Brief aus La Guaira vom 9. Juli 1873 nach Veracruz (Mexico) vor uns. Das Porto für 1/2 oz. im Karibischen Raum auch nach USA betrug 4d.

Abb. 4

Brief hat auf der Rückseite den TransitstemPel des en8L Postamtes m St. Thomas' Er war am 27-7- in Veracruz.

Nicht minder interessant sind Briefe im Verkehr mit Frankreich. Abb. 5 zeigt einen Brief aus Le Havre nach Caracas mit Gewichts- und Buchungsvermerken und auch dem roten Viereckstempel "P.P." (Port Paye). Das Porto betrug 2 Frs. 10 ct.  Der Brief erhielt ausserdem in La Guaira den vorphilatelistischen Rundstempel CORREO DE VENEZUELA GUAYRA  DEBE/. Der Aufgabestempel ist vom 3. Okt. 1856.


Abb. 5

Wie wir aus Abb. 6 ersehen, war 1873 das Verfahren schon ein facher. Das franz. Porto war l Fr.; vorderseitig roter Stempel P.P. und englischer Transitstempel LONDON PA1D 17 JY73.


Abb. 6

Frankreich hatte in Pto Cabello und La Guayra eigene Konsulatspostämter, die nicht nur den Postverkehr ins Ausland tätigten, sondern z.B. auch Seepost von La Guaira nach Carupano (im Osten) oder Pto Cabello beförderten. Dafür wurden achteckige Stempel mit Datum und La Guaira bzw. Pto Cabello verwendet; dazu kam dann noch der Stempel des Schiffspostamtes (Abb. 7). Ausserdem trägt der Brief den datumlosen Poststempel von La Guaira.


Abb. 7

1871 eröffnete die HAPAG einen Postund Dampferdienst nach Westindien. Für die Beförderung innerhalb westindischer Häfen oder der Karibik verwendete sie eine lOct-Marke, deren Ausgabe von der Reichspost genehmigt war. Die Gebühr betrug 10 et für je 10 gr. Gewicht. Die Briefe wurden jeweils von Agentur zu Agentur verschickt. Für Venezuela finden wir die Agenturstempel von BLOHM  VALENTINER & CO (Abb. 8), SchönWillson in Maracaybo, Boulton & Co in Pto Cabello, O. Becker & Co. in Caracas und Cesar Römer & Co in Pto Cabello. Als Entwertungen finden wir ausserdem ein P im Kreis oder Teilquadrat, vielfach auch Tintenstriche.


Abb. 8

Sehr selten sind Kombinationen von Briefen mit venezolanischen Marken: etwa ein Beleg aus der Sammlung des Autors mit einer halbierten 2-Reales-Marke Ausgabe 1866/73 von Pto Cabello nach Caracas, die das Porto von La Guaira nach Caracas beglich, die Hapagmarke die Gebühr für den Seetransport. — Aus derselben Sammlung stammt ein Brief vom 19. Mai 1880 von Chile nach Caracas. Chile war damals bereits im Weltpostverein. Der Brief ist mit chilenischen Freimarken frankiert und an den Forwarder Samuel Pizo & Co in Panama gerichtet, der ihn auf der atlantischen Seite der Hapag übergab (Juni 8 1880). Diese klebte eine lOcts Hapagmarke auf die chilenische Frankatur und entwertete mit dem blauen "P"-Stempel. Kolumbien und Venezuela traten ja erst 1881 in die UPU ein. - Ein sehr interessanter Brief von London nach Ciudad Bolivar ist wie üblich mit l sh freigemacht, an den HAPAG-Agenten J.N. Harriman & Co in Trinidad gerichtet (Trinidad MR, 1874), dort mit dem Hapag-Agenturstempel versehen und nach Ciudad Bolivar weitergeleitet. Die Hapag-Marke  kam erst l Jahr später heraus. 

Dieser Bericht kann keinen Anspruch auf Vollständigkeit erheben. Sollte es aber gelungen sein, die Aufmerksamkeit auf dieses interessante Sammelgebiet zu lenken, so hätte er seine Aufgabe schon erfüllt.

© Schweizerische Vereinigung für Postgeschichte / SVPg