Die Portofreiheitsmarken der Schweiz von 1911/27 (1. Teil)

Olivgrüne Marken, gedruckt auf blauem Papier? Wo kann es sowas geben? In unserem Land? Ja, Sie haben es erraten! Und sie wurden fünfzehn Jahre lang für gut genug befunden zur Abgabe an Wohltätigkeitsinstitutionen, vielleicht weil diese nichts dafür zu bezahlen hatten. "Wohltätig" will hier heissen: 1) als oder von Wohltätigkeit oder von Almosen, mildtätig; 2) unterstützt oder abhängig von Wohltätern; 3) als Unterstützung gegeben, gratis, gebührenfrei. Genau unter diesen Gesichtspunkten sind die Schweizer Portofreiheitsmarken ausgegeben worden, die in den Katalogen gegen Schluss der Schweizermarken registriert werden. Im Amtsgebrauch wurden sie als Postfreimarken oder Wohltätigkeitsmarken sowie auch als Portofreiheitsmarken bezeichnet. Ihre Verwendung war streng beschränkt auf Institutionen, die sich um hilflose, arme, kranke, blinde, behinderte, geistig leidende oder schwer erziehbare Leute kümmerten, sowie auch um Personen mit persönlichen Sorgen oder Nöten, wie beispielsweise Straf- oder Anstaltsentlassene und Kriegsflüchtlinge.

Die Vorläufer der Ausgabe von 1911

Während des deutsch-französischen Krieges arbeiteten — zum Zwecke der Hilfeleistung an Internierte, Verwundete und Familien von Vermissten -- verschiedene schweizerische Organisationen mit dem Schweiz. Roten Kreuz zusammen. Diese Organisationen verwendeten Franko-Etiketten, welche vom internationalen Rotkreuzkomitee in Genf herausgegeben wurden (Zumstein-Spezial-Katalog Nr. I-XI). Sie zeigen meist das Symbol des Roten Kreuzes, entweder rechteckig, achteckig oder oval eingefasst. Diese Portofreiheitsmarken auf offiziellen Korrespondenzen verwendet (ob gestempelt oder nicht), stellen sowohl für Portofreiheits-Sammler, als auch für Schweiz- und Rot-KreuzSammler echte Raritäten dar. (Abb. 1)


Abb. 1: Rotkreuz-Vignette ZU-Nr. IX auf Brief

Die Portofreiheitsmarke Nr. l in den Schweizerkatalogen ist ein purpurfarbener Klebezettel ohne Nominalwert, der während des deutsch-französischen Krieges von 1870/71 Verwendung fand (Abb. 2). Gewisse ausländische Kataloge führen diese "Marke" nicht auf. Die Zettel wurden an die internierten Franzosen der Bourbaki-Armee abgegeben, welche anfangs 1871 auf Schweizer Gebiet übertrat. Die Gratismarke diente zur taxfreien Beförderung der Briefschaften der Internierten nach den von den Deutschen nicht besetzten französischen Gebietsteilen.


Abb. 2: Gratis-Marke ZU-Nr. lb/A.l, Farbton stumpfpurpurlila mit Fehldruck "f auf Brief mit sehr frühem Datum (5II 71)

Die Ausgaben von 1911/27

 

Bis zum Ende des Jahres 1910 genossen nicht nur Regierungsinstanzen des Bundes, der Kantone und der Gemeinden sowie kirchliche Stellen (für Geburts-, Hochzeits- oder Sterbeurkunden) das Privileg der Portofreiheit, sondern ebenfalls eine immer grösser werdende Gruppe von gemeinnützigen, hilfs- und wohltätigen Organisationen.
Die Postverwaltung musste immer mehr Missbräuche feststellen. Es wurde daher eine Neuregelung der gesamten Portofreiheit angestrebt und eine Revision des Postgesetzes durchgeführt. Zwei philatelistische Erzeugnisse waren die Folge davon. Zum ersten waren es die Postfreimarken oder Wohltätigkeitsmarken (Abb. 3), denen wir uns nachfolgend näher zuwenden wollen.

 

 

 

 

Fortsetzung folgt

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