Die Schweiz im Ersten Weltkrieg oder „C'est dur d'etre bon Suisse !" - Teil l

Diese Präsentation beschäftigt sich mit der Schweiz im Ersten Weltkrieg und versucht, die Veränderungen in dieses Land in dieser bewegten Zeit darzustellen. Obwohl die Schweiz eigentlich kein Kriegsteilnehmer war, hat der Krieg das Land verändert, sowohl die Gesellschaft im Innern, wie auch die Beziehung zu anderen Staaten. Die Schweiz war eben nicht die Insel, als die sie sich so oft sah. Im Jahr 1913 hatte die Schweiz eine Gesamtbevölkerung von ca. 3,9 Millionen Einwohnern, darunter 550'OOfJ Ausländer. Ein in diesem Jahr geborener Knabe hatte eine Lebenserwartung von 62 Jahren, ein Mädchen von 68 Jahren.

Obwohl viele postgeschichtliche Belege gezeigt werden, stehen Tarife und Stempel im Hintergrund, wichtiger sind insbesondere Texte oder Absender. Die originalen Texte sind jeweils kursiv wiedergegeben. Natürlich werden auch zeitgenössische Ansichtskarten gezeigt. Es handelt sich also um eine Präsentation, die man der ,Social Philately' zuordnen kann. Für den Autor sind dies somit gleich zwei Premieren, seine erste Sammlung zu einem schweizerischem Thema und die erste nicht-postgeschichtliche Sammlung.

Ich würde mich sehr freuen, wenn Sie mir mailen, was Sie von diesem Ansatz halten.

Diese Präsentation hat fünf Abschnitte und ist auf vier Teile in den nächsten vier Ausgaben der,Postgeschichte' angelegt: 

  • 1. Prolog - die Schweiz bis zum Sommer 1914 
  • 2. Kriegsbeginn 1914 
  • 3. Der Krieg dauert länger als erwartet (1915/1916) 
  • 4. Die wirtschaftliche Krise führt zur politischen Krise (1917/1918) 
  • 5. Epilog - eine veränderte Schweiz nach dem Krieg

Der Grossteil des Materials wirft einen generellen Blick auf die Schweiz in dieser Zeit. Ein weiteres Standbein sind die Postkarten, die (Jean) Jacques Meng, ein Auslandsschweizer mit elsässischen Wurzeln, an seine Eltern und seine Verlobte geschrieben hat und die „seinen" Ersten Weltkrieg samt Grenzbesetzung, Landesstreik und Grippewelle dokumentieren. Diese Karten waren Teil der Ansichtskartensammlung seiner Verlobten und enthalten dann Lücken, wenn Korrespondenz aus der Schweiz ins Oberelsass nicht möglich war.

Seiten mit Postkarten von Jacquot zeigen seine Unterschrift rechts oben

 

Quellen: Historisches Lexikon der Schweiz; Statistische Jahrbücher der Schweiz, Publikationen des Landesmuseums Zürich, Wikipedia

1. Prolog - die Schweiz bis zum Sommer 1914

Bis zum Ersten Weltkrieg wurde das politische System der Schweiz durch die FDP bestimmt. Dank dem Majorzsystem bei der Wahl hatten die Freisinnigen die absolute Mehrheit im Nationalrat und sie stellten auch nahezu alle Bundesräte. Sie standen seit jeher für den politischen Liberalismus und setzten sich für den Wirtschaftsliberalismus und möglichst wenig staatliche Intervention ein. Man war aber trotzdem flexibel genug, bei einem offensichtlichen Versagen der Marktkräfte regulierend einzugreifen (z. B. bei der Verstaatlichung der grossen Privatbahnen).


Privatganzsache Helvetia Brustbild 12 Rp. (PrPSO), verwendet am 4.4.1914 in Bern als Nachnahme zum Einzug des Jahresbeitrages für die FDP.


Die neutrale Schweiz spielte schon vor dem Krieg eine wichtige Rolle als Standort internationaler Organisationen (IKRK) oder Kongresse. Der 19. Friedens-Kongress 1912 in Genf, zu dem obige Postkarte erschien, wurde zum Sprachrohr der Proteste gegen den Italienisch -Türkischen Krieg.

Grosse Teile der Bevölkerung fühlten sich jedoch durch die Freisinnigen nicht mehr vertreten, insbesondere die Arbeiterschaft, aber auch Teile der Bauern und Handwerker. Die Arbeiterschaft versuchte deswegen ihre Interessen mit Streiks durchzusetzen. So gab es zwischen 1902 und 1912 zehn lokale Generalstreiks.

Der Zürcher Generalstreik von 1912 war eines der markantesten Ereignisse in der streikintensivsten Zeitspanne der Schweizer Geschichte zwischen der Jahrhundertwende und dem Ausbruch des Ersten Weltkrieges. Seinen Ausgangspunkt stellten zwei lokale Branchenstreiks (Maler und Schlosser) im Frühjahr 1912 dar. Diese beiden Arbeitskämpfe, bei denen es vor allem um Arbeitszeitverkürzungen ging, eskalierten aufgrund des Einsatzes von Streikbrechern aus Deutschland, der Erschiessung eines Streikpostens durch einen Streikbrecher und schliesslich aufgrund des Erlasses eines teilweisen Streikpostenverbots durch den Zürcher Stadtrat. Die Arbeiterunion Zürich und die Gewerkschaften protestierten gegen diese Massnahme mit der Proklamation eines 24stündigen Generalstreiks für den 12. Juli 1912. Obwohl der Streiktag insgesamt friedlich und ohne Zwischenfälle verlief, reagierten Unternehmer und Behörden prompt und massiv. Noch am 12. Juli verkündeten die Arbeitgeber als Vergeltung eine zweitägige Aussperrung für Samstag, 13. Juli und Montag 15. Juli. Der Zürcher Regierungsrat bot drei Füsilierbataillone und eine Kavallerieschwadron, insgesamt etwa S'OOO Mann, als Ordnungstruppen auf.


Feldpostkarte des Bataillons No. 71 während des Zürcher Generalstreiks nach Schneisingen AG, angekommen am 16.7.1912.

Ein wichtiger Schritt zur besseren Vertretung dieser Gruppen war die Einführung des Proporz-Wahlrechtes. Dies gelang aber erst im Oktober 1918 mit dem dritten Initiativ-Vorstoss. Proporz-Initiativen in den Jahren 1900 und 1910 scheiterten.


„Proporz-Postkarte" aus dem Jahr 1910, versandt am 20.10.1910 von Doppleschwand LU nach Wolhusen. Vergleichbare Initiativkarten existierten auch 1918.

Nach 1883 in Zürich und 1896 in Genf fand vom 15. Mai bis 15. Oktober 1914 in Bern die dritte Landesausstellung der Schweiz statt. Das Hauptziel der Ausstellung war es, die Leistungsfähigkeit der Schweiz und ihrer Wirtschaft nach innen und aussen zu demonstrieren. Besucht wurde die Ausstellung von 3,2 Millionen Besuchern, was 82% der schweizerischen Bevölkerung entsprach.

Das Ausstellungsgelände befand sich direkt im Norden von Bern im Neufeld, Mittelfeld und Viererfeld. Es gab auch ein Postamt und eine Druckerei, in der der Grossteil der Ausstellungsbriefe gedruckt wurde.


Ausstellungsbrief mit Wertzeichen Teilbrustbild 10 Rp. rot (AuB3) mit Zusatzfrankatur Teil 10 Rp. Type II undTellknabe 5 Rp., entwertet mit dem Maschinenstempel der Landesausstellung am 13. Juli 1914 - wahrscheinlich dem Ersttag des Teil - und versandt nach St. Etienne, Frankreich.

 

Das so genannte Teilbrustbild ist ein Ausschnitt aus dem Telldenkmal in Altdorf, die beide von Richard Kissling entworfen wurden. Das Tellbrustbild ersetzte für die Wertstufen von 10,12 und 15 Rp. das Motiv Helvetia-Brustbild, das nicht den Geschmack des Publikums getroffen hatte. Kurz nachdem der Originalstempel für den 10 Rp.-Wert in Gebrauch genommen worden war, zersprang er und musste ersetzt werden. Marken in diesem zweiten Typ sind dementsprechend häufiger und wurden zuerst verwendet.

 

Richard Kissling 1895 in seinem Atelier mit dem Teil-Denkmal

 

 

 

 

Es gibt keinen offiziellen Ersttag für das Tellbrustbild 10 Rp., man findet Daten vom 13. Juli (R. Stutz) und 14. Juli (Zumstein Spezial).

Der Sommer 1914 war für die Touristen in der Schweiz eine ganz normale Urlaubssaison. Der Beginn des Krieges am 1. August kam für viele völlig unerwartet.


Samaden nach MünchenPasing, 31.7.1918: "... Seit unserer Abreise von München haben wir wieder viel Natur und Schönes gesehen. Es geht uns diesmal gottlob mit der Gesundheit sehr gut und hoffen wir das Gleiche von Euch. Mittwoch oder Donnerstag kommen wir nach Hause...."

Am Mittwoch, dem 5. August 1918 war allerdings schon Krieg und viele Touristen waren in der Schweiz gestrandet.


Auch Jacquot  denkt bei seinem Besuch der Landesausstellung nicht an den Krieg. Bern an seine Eltern in AltThann, 27.7.1914: „... dans la belle capitale de la Suisse. Je vais voir oncle Paul ce so/r...."

Am 31. Juli 1914 ordnete der Bundesrat die Pikettstellung der Armee und für den 3. August die allgemeine Mobilmachung an. Die Landsturmeinheiten erhielten den Auftrag, die Mobilmachung und den Truppenaufmarsch zu decken. In der Generalswahl vom 3. August 1914 wählte die Bundesversammlung Ulrich Wille zum Oberbefehlshaber der Schweizer Armee.


Ab 1907 bestand der Landsturm aus 41- bis 48-Jährigen, die u. A. Überwachungs- und Deckungsaufgaben am Anfang einer Mobilmachung erfüllten, insbesondere in den Grenzgebieten. 

Einberufung des Landsturms am 1. August 1918 in Wildhaus Obertoggenburg SG. Photokarte Basel nach Unterwasser, 10.9.1914: 

 

„Etwas spät kommt hier Dein Konterfei von der Mobilmachung in Wildhaus. Hoffentlich ist auch euer Landsturm, wie der unsrige, nun wieder nach Hause zurückgekehrt. In Basel ist es ruhig. Ab und zu sieht man ein Regiment Kavallerie oder Artillerie oder den Divisionspark zur Übung die Stadt durchqueren...."

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 


Aigle nach Jouxtens bei Lausanne, 4.8.1914: „... La mobilisation su/t son cours d'une moniere... calme. Le moral de la troupe est excellent…"

 


Handcolorierte Postkarte auf Büttenpapier: „Inspection du landsturm", Charles Oser 1916 

 

Charles Oser (1902-1994) war zum Zeitpunkt dieser Zeichnungen 13 Jahre alt und besuchte das Gymnasium in Lausanne. Er trat 1928 als Übersetzer in die Bundeskanzlei ein und wurde schlussendlich 1951 bis 1967 Bundeskanzler. 

 

Erst während des Krieges wurden neue, feldgraue Uniformen und Stahlhelme eingeführt.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Handcolorierte Postkarte auf Büttenpapier: 

„Colonel divisionnaire", Charles Oser 1915, versandt als Neujahrkarte an seinen Lehrer, Monsieur Vaney

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

2. Kriegsbeginn im August 1914

Die Mobilmachung läuft an.

 

Bazenheid Toggen burgSG nach Bradford, England, 1.8.1914:

 

„Deardad! Soldiers are pouring into Batzenheid äs there is an assembly on the Kirchplatz. These are only the Landsturm, but notices are now up that all must go on Mondav (3. 8.). The greatest excitement prevails everywhere. They teil me l cannot go hörne äs only war trafic is allowed to journey. Edgar has hurried offto St. Gallen to get us some money. l do hope he will succeed or whatshall we do? There is no business going on at all otherwise. What an experience for me .... This is very sad!"

 

 

 

 

 

 

„Wir sind gut angekommen, aber erst um 17 Uhr, wir sind in einem Schulhaus einquartiert, arbeiten mussten wir heute noch nicht, morgen geht es ans t J. Verladen, um 5 Uhr ist Tagwache!.. Hilfstruppe Munitionsfabrik Altdorf Militärsache"

 

Altdorf UR mit Zivilpost nach Kriejis, 6.8.1914:

 

 

 

 

 

 

 

Die Munitionsfabrik Altdorf und die Eidgenössische Munitionsfabrik Thun, wurden 1998 zur RUAG zusammengefasst.

Die Mobilmachung legt das öffentliche Leben und die Wirtschaft praktisch still.


Landesaustellung Bern nach Lenzburg, 6.8.1914: „... Die usstellungsräume sind öde und verlassen infolge der Mobilisation. ... "


Zürich nach Mainz, 7.8.1914: „...alle zum Krieg abgerufen, ich arbeite noch ... allein, weiss aber nicht wann ich auch noch gehen muss ... "

2. Kriegsbeginn - Die Grenzbesetzung

Die Grenzen der Schweiz nicht nur zu schützen, sondern gleich massiv mit dem Gros der Armee zu besetzen, war ein unbestrittener Beschluss der politischen und militärischen Führung: Die Schweiz sollte jeden Quadratmeter ihres Territoriums von der Grenze an verteidigen. Denn gelänge es der einen Kriegspartei, durch die Schweiz hindurch der ändern in die Flanke zu fallen, würden beide den Krieg in die Schweiz hineintragen. Die militärische Führung ging davon aus, dass ein Krieg zwischen dem Deutschen Reich und Frankreich am wahrscheinlichsten sei. Weil die Grenze zwischen diesen Mächten damals bei Delle am Pruntruterzipfel verlief, rechnete man vor allem an der Nordwestgrenze zwischen Basel und Pontarlier mit einem Angriff. Hier konzentrierte sich die Armee zuerst, baute danach am Hauenstein und am Mont Vully Feldbefestigungen aus, um auch im Landesinnern einem Angriff standhalten zu können


Patriotische Postkarte zur Grenzbesetzung 1914. Im linken Teil zu Pferde ist die militärische Führung der Schweiz zu erkennen:


dabei v. I. n. r.: Generalstabschef Theophil Sprecher von Bernegg Oberst Brügger, Generaladjudant Ulrich Wille, General der schweizerischen Armee

2. Kriegsbeginn - Ausländer in der Schweiz müssen in den Krieg

Ausländer in der Schweiz mussten in ihren Heimatländern einrücken. Dadurch wurden die Familien auseinander gerissen, da Frau und Kinder oft in der Schweiz verblieben


Vitznau nach Bad Homburg, Deutschland, 11.8.1914: „Vitznau Parkhotel ... Mit vieler Mühe hier angekommen. - Papa in Basel getroffen - ist gut untergebracht in Zürich. Hilde - wahrscheinlich bei den Diakonieschwestern. - Curt freiwillig bei der Artillerie in Leipzig....


Basel von deutscher Ehefrau an Mann an der Front, 14.9.1914: „ ... Ich bete immer für Dich, liebes Schatzi, wir werden uns gewiss wieder sehen. Mein lieber Heiny, versprich mir mit Deinem nächsten Schreiben wenn Du schwer ^^___ verwundet sein solltest ja nicht selbst Hand an Dich zu legen. Ertrage alles, Du bist Deinem treuen Frauli als Krüppel noch viel lieber als vorher, glaub es mir lieber guter Heiny..."

2. Kriegsbeginn - „Der kurze Krieg"

Zwischen dem 3. und 7. August 1914 rückten 220'000 Mann und 45'000 Pferde ein. Der durchschnittliche Mannschaftsbestand während des Krieges betrug jedoch nur 70'000, bei Kriegsende waren noch 12'000 Mann im Aktivdienst. Anfangs gingen alle von einem kurzen Krieg aus, aber im Schnitt leisteten die Armeeangehörigen dann doch 500 Diensttage. Die Arbeitskräfte in der Industrie wurden knapp, weshalb die Wirtschaft schon bald eine - zumindest teilweise - Demobilisierung forderte. Bereits im Dezember 1914 wurden lOO'OOO Soldaten aus dem Dienst entlassen. Den Familien fehlte oft der Ernährer, denn die Wehrmänner erhielten nur 1.30 Franken Sold pro Tag, ohne Verdienstausfall.


Mannschaftsstärke während des Krieges.


Aus Zürich an seine Mutter in Subiaco bei Perth, Western Australia, 30.8.1914: „.. Die englische Armee und französische Armeen sind völlig geschlagen und sind in wilder Flucht gejagt. Man hört hier 16WO gefangen genommen. Die Deutschen werden in ein paar Tagen bei Paris sein. Die Reports, die ihr da in den Zeitungen liest sind Lügenberichte von englischer französischer Seite und aus der Luft gegriffen ..."

2. Kriegsbeginn - Die Besetzung Belgiens durch deutsche Truppen spaltet die Schweiz

Deutsche Truppen besetzen Luxemburg am 1. August und das neutrale Belgien ab dem 4. August 1914. Die Reaktion in der neutralen Schweiz darauf und auf die Gräueltaten deutscher Truppen in Belgien war durchaus unterschiedlich. In weiten Teilen Deutschschweiz gab es mehr als Verständnis, die welsche Schweiz hingegen solidarisierte sich mit den belgischen Opfern. Die Schweiz nahm 2'000 hospitalisierte belgische Kinder auf, internierte 4'500 verletzte Offiziere und Soldaten sowie 6000 Flüchtlinge.

 
Zollikon nach Berlin, 21.11.1914: „... Indem ich Sie meiner vollen Sympathie für  Deutschlands Vorgehen im gegenwärtigen Kriege versichere, sehe Ihren Aufträgen gerne entgegen ..."


Portofreie Feldpostkarte vom Bataillon 10 an den Cousin in Nancy.