Aus den Anfängen der Luftpost: Schweizer Post auf Fluglinien im Ausland

Mit einer Anmerkung zur Verfügung Nr. 124 der PTT vom 23. Juni 1921 wurden die Poststellen "eingeladen", die noch bei ihnen vorhandenen Flugpostmarken zu 30 und 50 Rappen zum Umtausch gegen Marken anderer Taxwerte dem Kreiswertzeichenbureau einzusenden. Der Grund für den Rückzug dieser Marken ist nicht bekannt. Jedenfalls kann er nicht damit begründet werden, dass keine Möglichkeit zur Aufgabe von Flugpostsendungen bestand. Seit November 1920 konnte man Flugpostsendungen nach Marokko mit der Linie Toulouse — Casablanca und nach der Tschechoslovakei mit der Linie Strassburg — Prag in der Schweiz aufgeben, und im Jahr 1922 waren es eine ganze Reihe von Fluglinien, deren Benutzung die PTT dem Postkunden in der Schweiz ermöglichte. Über den weiteren Verbleib der unverbrauchten Flugpostmarken (von der 50 Rp-Marke sollen es l ½Millionen Stück sein!) wird übrigens in Artikeln im In- und Ausland herumgerätselt. Wenn es Sie interessiert, lesen Sie, was Max Hertsch darüber in der Berner Briefmarken-Zeitung vom März 1981 ausführte.

Die Zeit vom Juni 1921 bis zum 1. März 1923, als eine neue Serie definitiver Flugpostmarken an die Schalter kam, war jedenfalls die "flugpostmarkenlose" Zeit in der Schweiz. Und das hatte seine philatelistischen Auswirkungen, denn ohne Flugpostmarken hatte ein Flugpostbrief für die Sammler keinen besonderen Wert mehr. Die Sammler von damals waren ja Marken-Sammler und keine Flugpost- Sammler, die Belege einer bestimmten Fluglinie sammelten! So kommt es, dass wir aus dieser Zeit nur sehr wenige Flugpostbriefe haben. Nicht einmal der erste Flug einer Schweizer Gesellschaft (Ad Astra Aero) ins Ausland konnte die Sammler bewegen, mehr als 36 Briefe und Postkarten mitfliegen zu lassen (1.6. 1922 Genf-Zürich-Nürnberg)!

Die Benutzung von Fluglinien im Ausland durch die PTT begann wie schon erwähnt im November 1920 und wurde in den folgenden Jahren immer weiter ausgebaut. Erst allmählich gelang es, die Schweiz an das Netz der europäischen Fluglinien anzuschliessen, teils durch Verlängerung ausländischer Linien in die Schweiz, teils durch Linien von Schweizer Gesellschaften ins Ausland. Die erste Fluglinie im Ausland, deren Benutzung die PTT bekanntgab, war die Linie der BALUG Frankfurt — Lörrach — Frankfurt (Eröffnung am 11.11.1920,erste Schweizer Post am 14.11.1920). Da aber Lörrach nur eine Art " Ausweich - Flugplatz" für Basel war, gehört diese Linie nicht zu denjenigen, die wir hier behandeln wollen.

l. Toulouse — Casablanca

Die erste Postbeförderung durch eine gänzlich im Ausland operierende Fluglinie wurde von der PTT durch ein Schreiben der Oberpostdirektion in Bern an die Kreispostdirektionen und an die Presse bekanntgegeben; sie datiert vom 15. November 1920 und hat folgenden Wortlaut:

"Nach einer Mitteilung der französischen Postverwaltung können gewöhnliche und eingeschriebene Briefpostgegenstände (ausgenommen Einzugsmandate, Nachnahmen, Wertbriefe und Wertschachteln) bis 200 g Gewicht aus der Schweiz nach Westmarokko mit der Flugpost von Toulouse nach Casablanca befördert werden Die Briefschaften müssen die auffallende Aufschrift "paravion de Toulouse ä Casablanca" tragen. Ausser der ordentlichen Frankatur sind folgende Flugpost-Zuschläge mit schweizerischen Marken zu decken:

  • Fr. 1.25 bis 20g
  • Fr. 2.50 über 20 bis 100g
  • Fr. 3.75 über 100 bis 200 g.

Die Flugzeuge gehen von Toulouse nach Rabat jeden Dienstag und Samstag um 10 Uhr ab (Basel ab 5.06 und Genf ab 5.00 am Montag und Freitag) . . . Die Einrichtung tritt am 19. dieses Monats in Kraft. Die in Frage kommenden Auswechslungsbureaux sind zu verständigen."

Diese Flugpost-Zuschläge waren allerdings recht hoch (der gewöhnliche Auslandsbrief bis 20 g kostete damals 25 Rp, ab 1.2.21 40 Rp; Postkarten 10 Rp; ab 1.2.21 25 Rp; einschreiben 25 Rp, ab 1.1. 21 40 Rp); sie wurden erst ab 14.4.1921 auf 75 Rp für 20g, 175 Rp für 20 - 100g und 275 Rp für 100 - 200g ermässigt. Weitere Ermässigungen traten im Jahre 1922 ein: ab 1.1.22 40 Rp bzw. 90 Rp bzw. 140 Rp; ab 15.1.1922 25 Rp bzw. 50 Rp bzw. 75 Rp. Diese Taxen blieben dann bis Ende Oktober 1925 in Kraft. Von dieser Linie ist uns aus der Zeit vor der Ausgabe der definitiven Flugpostmarken, also vor dem 1.3.1923, nur ein Beleg bekannt. Es ist ein grossformatiger Brief nach Casablanca vom Januar 1921. Man konnte ihn an der Ausstellung LUPO 85 bewundern (Sammlung H.M. in R.), siehe Abb. 1. Er ist mit einem Dreierstreifen der 30 Rp Propeller und zwei Kehrdruckviererblocks Zumstein K 14 und K 15 (also doch philatelistisch!) frankiert, total mit Fr. 1.90. Dies entspricht genau der Posttaxe: Auslandsbrief bis 20g 25 Rp, einschreiben 40 Rp, Flugpostzuschlag Fr. 1.25 = Fr. 1.90.

Abb. 1: Toulouse - Casablanca, Januar 1921

 

Die Zahl der auf dieser Linie beförderten Briefsendungen wurde uns von der GD PTT (Bibliothek und Dokumentation) freundlicherweise zur Verfügung gestellt:

  • 1920 ab 19. Nov.  13 Briefsendungen
  • 1921                      257 Briefsendungen             
  • 1922                      2637 Briefsendungen          
  • 1923                      7308 Briefsendungen

Vom Monat Januar 1923 sind uns die täglich abgefertigten Kartenschlüsse bekannt: an 23 Tagen wurden nur 44 Briefsendungen nach Marokko abgefertigt! Daraus ist bereits erkennbar, dass das Postaufkommen im Laufe des Jahres 1923 sprunghaft angestiegen sein muss, was zweifellos mit der Einführung der neuen Flugpostmarken zusammenhängen wird. Die Linie Toulouse — Casablanca wurde von den "Lignes aeriennes Latecoere" bereits seit dem 11.8.1919 via Alicante - Malaga — Rabat regelmässig beflogen, ab 15.5.1923 auch nach Oran. Pierre Latecoere war ein Flugzeugkonstrukteur und Pionier der Linie nach Südamerika. Schon 1923 unternahm er Probeflüge nach Dakar, ab 1925 wurde dann regelmässig bis Dakar geflogen. Aber der Sprung über den Südatlantik nach Natal gelang mit einiger Regelmässigkeit erst neun Jahr später; bis dahin behalf man sich mit dem Einsatz von Schnellbooten für die 3200 km lange Strecke.

2. Strassburg — Prag (—Warschau)

Mit Schreiben der Oberpostdirektion vom 16. November 1920 wurde den Kreispostdirektionen mitgeteilt, dass gewöhnliche und eingeschriebene Briefpostgegenstände (Ausnahmen wie im Schreiben vom 15. November 1920) aus der Schweiz nach "Tschechoslowakien" mit der Flugpost von Strassburg nach Prag befördert werden; vorgeschriebene Aufschrift: par avion de Strasbourg ä Prague". Die Flugpost- Zuschläge waren Fr. 3.— für je 20g oder Bruchteile von 20 g. "Die Flugzeuge gehen von Strassburg jeden Werktag um 12 Uhr ab (Basel ab 5.06, erstmals am 22. November)." Es wäre ein Wunder, wenn wir einen Flugpostbrief nach Prag vom Ersttag fänden, aber fast ein Wunder ist dieser Brief nach Prag vom 23. November 1920 (Abb. 2). Aufgegeben in Basel am 23.XI.20, frankiert mit 11 Stück 30 Rp Propeller-Aufdruck sowie 20 und 30 Rp Helvetia mit Schwert, total mit Fr. 3.80; Ankunftstempel Praha 27.XI.20. Der Absender war kein anderer als Dr. Robert Paganini, dem die Aerophilatelisten so viel verdanken. Der Brief wurde 1975 in der Corinphila-Auktion Zürich angeboten und mit Fr. l6000 zugeschlagen. Was er wohl heute bringen würde? Die Frankatur von Fr. 3.80 bereitet uns allerdings etwas Kopfzerbrechen. Der Flugzuschlag war eindeutig Fr. 3.—, aber der Auslandsbrief kostete im November 1920 nur 25 Rp und Einschreiben auch nur 25 Rp. Der Brief ist also mit 30 Rp überfrankiert! Das ist verwunderlich, denn ein "alter Hase" wie Robert Paganini kannte doch sicher die Posttaxen genau. Hat er sich vielleicht beim Aufkleben der vielen Flugpostmarken verzählt und 11 statt 10 Stück aufgeklebt?

Abb. 2: Strassburg - Prag, November 1920

 

Von der Linie Strassburg — Prag sind uns aus der Zeit vor dem 1. März 1923 noch einige schöne Belege bekannt. An der gleichen Corinphila-Auktion im Mai 1975 wurde ein Briefausschnitt mit einem Viererblock der 30 Rp Flugpostmarke, am 27.XII.20 in Basel aufgegeben, angeboten. Dieser Beleg erschien wieder an der Interphila-Auktion im April 1980 und wurde mit Fr. 9'000.- zugeschlagen. Bekannt sind auch einige Briefe, teils mit der 30 Rp, teils mit der 50 Rp Flugpostmarke frankiert, die an einen Herrn Vily Ekstein in Praha-Vinohrady adressiert und im Mai 1921 aufgegeben sind (Abb. 3 und 4)


Abb. 3 und 4: sogenannte Ekstein-Briefe Strassburg - Prag, Mai 1921

 

Die Posttaxen betrugen im Mai 1921: Auslandsbrief bis 20 g 40 Rp, Flugpost- Zuschlag 50 Rp (seit 14.4.1921), zusammen also 90 Rp. Es ist schon seltsam, dass so viele Flugpostbriefe überfrankiert sind! Diese Linie von Paris über Strassburg nach Osteuropa wurde von der 1919 gegründeten Compagnie franco-roumaine de Navigation aerienne (kurz CFRNA) betrieben. Ihre Gründung hatte wohl politische Ziele: sie sollte die Staaten der "Kleinen Entente" (Tschechoslovakei, Jugoslavien, Rumänien) näher an Frankreich binden. 1925, nachdem sich die Tschechoslovakei an der Gesellschaft beteiligte, wurde sie in Compagnie Internationale de Navigation aerienne (kurz CIDNA) umbenannt, und, anstatt deutsches Gebiet zu überfliegen, wurde ab 2.6.1925 in Basel und Zürich zwischengelandet, was bekanntlich durch Schweizer Erstflugpost belegt ist.
Während aus der Frühzeit dieser Linie mehrere Briefe nach Prag existieren, sind uns solche von der Verlängerung nach Budapest, Bukarest und Konstantinopel nicht bekannt. Die Anschlusslinie nach Warschau, im April 1921 eröffnet, wurde ab 21. Juni 1921 (Dienstag) für Post aus der Schweiz freigegeben; in der Verfügung Nr. 121 der PTT heisst es:

"Infolge Ausdehnung des Flugpostdienstes Strassburg - Prag bis Warschau können Briefschaften nun auch nach Polen auf dem Luftwege befördert werden. Die Flugpost Strassburg - Prag – Warschau verkehrt jeden Montag, Mittwoch und Freitag nach folgendem Flugplan: 

  • ab Strassburg 9.30
  • an Prag 13.30
  • ab Prag 14.00
  • an Warschau 19.00
  • (ab Basel 5.37 je am gleichen Tage)

Die Briefschaften nach Polen müssen die auffallende Aufschrift tragen "par avion de Strasbourg à Varsovie ". Die ausser der ordentlichen Frankatur mit Marken zu deckenden Flugpostzuschläge für die ganze Strecke Strassburg - Warschau sind folgende:

  • Fr. 1. - bis zum Gewicht von 20 g
  • Fr. 1.50 über 20 g bis 100 g.

Für höhere Gewichte als 100g sind für jede weitern 100 g oder Bruchteile davon 50 Rp bis zum Höchstgewicht von 2kg zu erheben."

Nach einem Beleg vom Ersttag, also vom Mittwoch 22. Juni 1921, Ausschau zu halten, ist zwecklos. Auch von späteren Flügen aus der Zeit vor der Ausgabe der definitiven Flugpostmarken ist uns wenig erhalten geblieben. Glücklicherweise ist nun ein verschollen geglaubter Beleg von Dr. Paganini wieder aufgetaucht; er wurde am 3l. Oktober 1985 bei Phillips in London für £ 4'200.- versteigert (Abb. 5).


Abb. 5: Strassburg - Warschau, Juli 1921

 

Der Brief ist am 9. Juli 1921 in Zweisimmen aufgegeben und wunderschön frankiert: der Flugpostzuschlag von einem Franken ist mit einem Dreierstreifen der 30 Rp Propelleraufdruck und 10 auf 13 Rp Teil (Z. Nr. 149) gedeckt. Brieftaxe (40 Rp) und Einschreiben (30 Rp) sind durch einen zentrisch gestempelten Viererblock der Z. Nr. 150 (20 auf 15 Rp Teil) bezahlt, - die 10 Rp Überfrankatur dürfen wir Dr. P. nicht übelnehmen. Ein Ankunftstempel fehlt - leider - auf dem Brief. Transitstempel, etwa von Strassburg, dürfen wir nicht erwarten; Strassburg hat nie Transitstempel angebracht. So befinden sich auf der Rückseite keine postalischen Vermerke, nur der bekannte ovale Absenderstempel "Dr. Robert Paganini / Zweisimmen" und ein runder Klebezettel mit dem Text "We want Distinctive Cancellations on Airplane Mail" (Wir fordern deutliche Stempelabdrücke auf 16 Luftpostsendungen), den Dr. Paganini wohl nur aus Amerika erhalten haben kann.

Die PTT haben uns folgende interessante Zahlen über die mit den Linien der CFRNA beförderten Briefsendungen bekanntgegeben: 

  • 1920 (22.11.-30.11.) 9 Stück nach Prag 
  • 1921 ( 15.2- 11.11.) 426 Stück nach Prag, ab 21.6. auch nach Warschau 
  • 1922(15. 2.- 11.11.) 763 Stück nach Prag, Warschau, ab 1.4. auch nach Wien — Budapest, ab 15.9. nach Bukarest und ab 1.10. nach Konstantinopel 
  • 1923 ( 1. 9.- 14.11.) 2506 Stück nach allen Destinationen wie im Vorjahr ausser Konstantinopel, das nicht mehr angeflogen wurde.

Wieder stellen wir einen sprunghaften Anstieg der Luftpostsendungen ab 1923 fest. Das waren traumhafte Zuwachsraten! Im Vergleich mit dem Ausland sind die absoluten Zahlen aber noch sehr bescheiden. In Frankreich beispielsweise betrug die Menge der mit Luftpost beförderten Briefsendungen:

  • 1919      9 000 Stück
  • 1920      182 000 Stück 
  • 1921      328 000 Stück
  • 1922      1 407 000 Stück
  • 1923      2 958 000 Stück
  • 1924      4 000 000 Stück

Fortsetzung folgt.