Die Zensur von Zeitschriften und anderen Druckerzeugnissen im zaristischen Russland
Seit es die Einrichtung der Post als Institution gibt (und bereits vorher), gibt es auch die Zensur. Zu gross war immer das Interesse der Herrschenden an dem, was in ihrem Reiche und natürlich auch ausserhalb geschah, als dass sie sich die Gelegenheit hätten entgehen lassen, die in ihren Machtbereich gelangende Post nicht auch noch zu kontrollieren. Dabei ging es in erster Linie nicht um eine Zensur im eigentlichen Sinne, d.h. um die Unterdrückung von Nachrichten durch Schwärzung der entsprechenden Stellen oder Konfiszierung der Sendung, sondern man wollte ganz einfach darüber orientiert sein, wer mit wem was hat. Zu gewissen Zeiten waren es die intimen Herzensangelegenheiten gewisser Untertanen, was interessierte, zum anderen Meinungsäusserungen über die politischen Zustände. Und so beklagte sich auch schon 200 v. Chr. Plautius und 50 v. Chr. ein gewisser Cicero über die Geheimzensur, die sie zur Unaufrichtigkeit zwinge.
Diese Art der Zensur (man könnte sie auch ganz einfach Schnüffelei nennen) hinterliess normalerweise keinerlei Spuren: die Siegel der Briefe wurden von Spezialisten in besonders eingerichteten Kabinetten erbrochen und nachher wieder fein säuberlich verschlossen. Das «Cabinet noir», unter Heinrich IV. und seinem 1. Generalpostmeister de La Varane gleichzeitig mit der Einrichtung der Post in Frankreich im Jahre 1590 eingeführt, ist ein gutes Beispiel für diese damalige Praktik, und auch viel später, anfangs des 19. Jahrhunderts, hielt ein Metternich in Österreich gar nichts von einem Postgeheimnis - auch er schnüffelte in der Post herum in geheimen Kabinetten. Das Cabinet noir in Paris arbeitete später so unverfroren, dass sich Liselotte von der Pfalz, immerhin Gattin des Herzogs von Orleans, in einem Brief an den Herzog von Gramont aus dem Jahre 1707 beklagte: «Es ist sicher, dass meine sämtlichen Briefe auf der Post geöffnet werden. Oft behändigt man sie mir aus, ohne sie wieder zu verschliessen.» Und in einem Brief an ihre Tante «Oh, wenn doch die Burschen, die meine Briefe öffnen, sie sämtlich am Hintern hätten! Vielleicht würden sie dann an etwas anderes denken als an meine Korrespondenz.»
Alle diese Zensur geschah, wie bereits gesagt, im Geheimen und hinterliess keine positiven Spuren, bis dann die französische Revolution kam, welche der Tätigkeit des Cabinet noir ein Ende setzte. «Mit Empörung protestiert die französische Nation gegen jegliche Verletzung des Postgeheimnisses, eine der gemeinsten und infamsten Erfindungen des Despotismus.» Hess der Abgeordnete S. de Clermont-Tonnere im Juli 1789 verlauten - aber im gleichen Jahr wurde zur Verteidigung der Republik ein Komitee mit der Kontrolle der Postsendungen beauftragt ... . Und jetzt gab es keine Barrieren mehr: im Juli 1792 wurden der Nationalversammlung 161 «illegale» Brieföffnungsstellen gemeldet, welche z.T. ganz offen und jedermann ersichtlich mit Stempeln und handschriftlichen Vermerken arbeiteten. Die französische Revolution und ihre Ideen waren es dann auch, welche den Zaren Paul I von Russland am 18. April 1800 veranlassten, ein Gesetz inkraft zu setzen, welches alle Drucksachen aus dem In- und Ausland einer Zensur durch die Gendarmerieverwaltung im Innenministerium unterwarf. Diese Prüfung hinterliess in den ersten 7 Jahrzehnten allem Anschein nach keinerlei Kennzeichen auf den untersuchten Druckwaren. Dass sie jedoch existierte, zeigen Veröffentlichungen sowohl im englischen als auch französischen Postamtsblatt (Bulletin Mensuel des Postes) aus dem Jahre 1859. In diesen wird (wohl gestützt auf den gleichen - russischen? - Urtext) festgehalten, dass
(Abs. 1) «der direkte Postversand von politischen Zeitschriften adressiert an Privatpersonen in Russland vollständig verboten ist.... Die einzigen politischen Zeitschriften, welche in Russland erlaubt sind, sind diejenigen, deren Abonnement auf russischen Postämtern bestellt wurden.»
Abs. 2 fährt dann fort mit den nichtpolitischen Zeitschriften «welche unter Streifband versandt werden können, aber nur an die Adresse einer Buchhandlung.» (Diese letzte Bedingung scheint später fallen gelassen worden zu sein, wie die gut 20 mir bekannten Streifbänder aus den Jahren ab 1880 zeigen).
In der Verlautbarung der englischen Post ist noch eine 3. Kategorie von Drucksachen vermerkt, welche im Bulletin Mensuel fehlt, nämlich die Preislisten und Marktberichte, welche in Russland ohne Beschränkung zirkulieren durften. Sendungen, welche gegen diese Bestimmungen verstossen, werden als unzustellbar angesehen, und fallen in den Rebut.
Aber immer noch findet man keinerlei Zeichen dieser Zensur, und es bedurfte wohl der anfangs der 70er Jahre des letzten Jahrhunderts entstehenden marxistischen, anarchistischen und nihilistischen Bewegungen, dass man 1879 zum ersten Mal mit der Zensur deutlicher wurde, denn erst von diesem Jahr hinweg findet man Zensurstempel auf Drucksachensendungen, und zwar zunächst nur die beiden Buchstaben «D.Z.» = Departement Zensura (s. Abb. l und 2, beides Stempel der Zensurstelle in Charkow).
Später, etwa Mitte der 90er Jahre, kam als 2. Zeile darunter noch der Ort, an welchem die Zensur stattfand, nämlich dasjenige Postamt, an welchem die Zeitschrift bestellt worden war. Und das waren für ganz Russland nicht viele: noch 1917 konnten nur an folgenden 11 Postämtern Zeitschriften bestellt werden: St. Petersburg, Moskau, Warschau, Odessa, Riga, Wilna, Kiew, Charkow, Nischni Nowgorod, Kazan und Tiflis. Von den meisten dieser Orte sind Zensurstempel mit Ortsangabe bekanntgeworden, nämlich von den oben aufgeführten ersten acht (s. Abb. 3-6 , Odessa, Warschau, Kiew, Riga).
Die Stempel sind meistens sehr schlecht abgeschlagen und somit auch schlecht leserlich. Bisher konnte ihr Gebrauch bis 1900 nachgewiesen werden, aber in Anbetracht der Seltenheit solcher Belege sind diesbezüglich sicherlich noch einige Entdeckungen zu erwarten.
Wie oben bereits dargelegt, wurden Sendungen, die gegen die Bestimmungen
verstiessen, als unzustellbar angesehen und zurückgesandt. Sie erhielten einen Kleber mit russischem und französischem Text «Von der Zensur zurückgewiesen» (s. Abb. 7), oder wurden ganz einfach konfisziert, wie die Abb. 8 zeigt. Dieser Stempel befindet sich auf einem Streifband aus Jerusalem aus dem Jahre 1888 und hat folgenden Wortlaut: BLOJENIE KONFISKOVANO / V.Z.K. (Ausmasse 14:46 mm).


Bibliographie:
Bulletin Mensuel des Postes, Paris August 1859, S. 295
A. H. Wortman, 19th Century Censorship, in «The British Journal of Russian Philately», London, No. 48
P.A. Michalove in «Censorship of Foreign Periodicals in Imperial Russia» in CCSG Bulletin, Vol. 14 p. 19
M. Carnevale-Mauzan «La Censura Politica delle Stampe nella Russia Zarista alla Fine del XIX Secolo.»
Hurt & Ojaste in «Estland, Philatelie & Postgeschichte» S. 717
K. K. Weiter, Die Postzensur, München 1965, S. 16