Die schweizerischen Portofreiheitsmarken

(Postfreimarken oder Wohltätigkeitsmarken)

Die Portofreiheit zahlloser Amtsstellen und Institutionen war seit Jahrzehnten ein Krebsübel, das der Bundesrat immer wieder einschränken wollte, aber stets bei den eidg. Räten, als Vertreter der Kantone abblitzte, weil zu viele von dieser «Ordnung» profitierten. So gab es z.B. 1850 1,4 Millionen portofreie Sendungen, 1880 4,8, 1913 18,3, und 1938 33,1. Als im Oktober 1924 der Bundesrat von der eidg. Verwaltung ein Verzeichnis der portofreiheitsberechtigten Amtsstellen verlangte, konnte die Bereinigung dieses Verzeichnisses erst 1926 abgeschlossen werden und ergab: 6'000 eidgenössische und 70'000 kant. und kommunale Amtsstellen. Das war für die PTT-Betriebe eine ausserordentliche Belastung. Gegen die «wohltätigen Institutionen», die in den eidg. Räten weniger interessierte Volksvertreter besassen, erfolgte nun 1911 der erste Schritt: Mit der Zustimmung der eidg. Räte zum Bundesgesetz vom 5. April 1910 wurde der Bundesrat befugt, im Rahmen eines jährlich von der Bundesversammlung im Jahresbudget zu bewilligenden Kredites an Anstalten, Gesellschaften und Vereine, welche sich mit Armenunterstützung befassen oder ähnliche wohltätige Zwecke verfolgen, unentgeltlich besonders gekennzeichnete Postfreimarken für einfache Briefpostsendungen abzugeben. Diese Befugnis delegierte der Bundesrat an das Postdepartement, wobei immerhin der Rekurs an den Bundesrat vorbehalten blieb (PO Art. 150). Die Frage, wann eine Anstalt oder ein Verein als von wohltätiger Natur zu betrachten sei, war umstritten. Nach vom Bundesrat getroffenen Entscheiden gelten nur solche Vereine als wohltätig, die sich reiner Wohltätigkeit gegen andere, «nach aussen», widmen. Demnach gehören z.B. die Krankenkassenvereine, die nur ihre Mitglieder unterstützen, nicht dazu. Der Bundesrat übertrug nun der OPD (Oberpostdirektion) die Aufgabe, zusammen mit den 11 KPD (Kreispostdirektionen) aus den vielen sich bewerbenden Anstalten jene auszuwählen, die diesen gesetzlichen Vorschriften entsprachen. Stiftungen und gemeinnützige Gesellschaften mit ihren Anstalten bildeten somit das Hauptkontingent der erfolgreichen Bewerber, wobei auch die Vermögenslage derselben eine wichtige Rolle spielte. Der Name «Portofreiheitsmarke» erschien erstmals in den «Schweiz. Philatelistischen Nachrichten» vom Nov. 1910 aus der Feder des Ernst Zumstein, Bern, der feststellte: «Als Postfreimarke wird im Ausland jede Briefmarke ohne Ausnahme bezeichnet. Hier haben wir es doch wohl eher mit einer Portofreiheitsmarke zu tun.» Sofort bürgerte sich dieser Name in den philatelistischen Kreisen ein, während für die PTT-Verwaltung die Namen Portofreiheitsmarken oder Wohltätigkeitsmarken dauernd Gültigkeit hatten.
Die OPD wählte nun als Markenbild das Alpenrosenmuster der eben neu erschienenen Tax-Marke, aber auf bläulichem Papier, sowie beidseits der Wertziffer ein «P». Zumstein Bern korrigierte in den Schweiz. Philatelist. Nachrichten vom Jan. 1911 die Bedeutung dieser «P» als Abkürzung des Begriffes Port Paye auf Grund neuer Erkenntnisse in Pour Philantropie. Ferner wurde dieser Marke für jede Institution zwecks besserer Kontrolle eine kleine schwarze Nr. oben in der Mitte aufgedruckt. Entsprechend der gültigen Taxordnung erschienen die Werte 2, 5 und 10 Cts (Drucksache, Karte, Brief).
Am 1. Jan. 1911 waren 468 Institutionen bezugsberechtigt, geordnet nach den 11 Postkreisen. Ab 2. Jan. 1911 wurde in rascher Folge jeder neuen Bewilligung die nächstfolgende Nr. aufgedruckt, ohne Rücksicht auf den Postkreis, sodass bis Ende 1925 mit der letzten Nummer 844 ein heilloser Wirrwarr entstand. Mit der neuen Postordnung vom 1.1.1926 erfolgte eine neue Nummerzuteilung mit grossen fetten Nummern, nach Postkreisen säuberlich getrennt, wobei jedem Postkreis Vi, l oder 2 Hunderter reserviert wurden. Die dabei vorhandenen Lücken wurden fortlaufend mit den Nummern der neu bewilligten Bezüger des gleichen Postkreises ergänzt. Einzig der Postkreis II (Lausanne) Hess in seinem Verzeichnis Lücken offen für ev. später hinzukommende gleichartige Institutionen.
So verteilten schliesslich die Postkreise folgende Institutions-Nummern:

Rund 100 Nummern wurden nach 1926 zugeteilt, rund 120 Nummern wurden vor 1935 entzogen. Nur ganz vereinzelt wurde die gleiche Nummer 2 verschiedenen Institutionen nacheinander zugeteilt. Die Zuteilung der Markenmenge erfolgte nach genauen Richtlinien: so pro belegtes Spitalbett Fr. 3.- pro Jahr, ebenso pro Pflegling in einer Anstalt Fr. 3.- pro Jahr, ferner pro Ferienkoloniekind 25 Rp. pro 100 Pflegetage, in Kinderkrippen 40 Rp. usw. Der Maximalbetrag pro Institution war 1911 Fr. 2'000.- und stieg bis 1921 auf Fr. 3'000.-. Diese Maximalbeträge gingen an grosse Kantonsspitäler, Samariterbund, Rotkreuzgesellschaft. Bei Institutionen mit Zweigverbindungen erfolgte die ganze Zuteilung an die Zentralstelle, und musste von dort weiter verteilt werden. Die Zuteilung der Marken erfolgte auf Bestellung und zwar:
a) Gesuch und Bewilligung nach Vorlage der finanziellen Unterlagen der sog. wohltätigen Institutionen
b) Jeweils im Sept. ging die Anfrage der OPD an die Kreispostämter, wer in ihrem Kreis für das folgende Jahr wieder Wohltätigkeits-Marken-Zuteilung wünsche. Diese mussten jeden bisherigen Bezüger, oft wiederholt, anfragen und bis Ende November an die OPD melden zwecks Erstellung der Jahresliste des folgenden Jahres z.B. der Bundes-Budget-Beratung für das folgende Jahr.
c) Hauptlieferung erfolgte auf Ende Dezember. Nachlieferungen im Rahmen der gesetzlichen Vorschriften oder an Erstbezüger war möglich von Jan. bis Okt.

Die Gesamtausgaben für Portofreiheitsmarken kosteten den Bund während der ganzen Dauer der Ausgabe jährlich schwankend zwischen 70*000.- und 136'OOOFr. Minimal-Bezüger war 1914 die Ferienkolonie Wädenswil mit der kleinen Nummer 519 mit 40 Marken ä 2 Rp. also 80 Rp.! Die Namen der InstitutionsNummern klein 512, gross 174, 175, 185 liegen heute noch im Dunkeln. Den Institutionen war es streng untersagt, ihre ungebrauchten Marken ans Publikum weiterzugeben oder sonst ausser für ihre, wohltätigen Zwecken dienende, einfache Briefpost zu verwenden. Doch auch hier, wie bei der allgemeinen Portofreiheit gab es zahlreiche Missbräuche: fast alle Vorschriften wurden umgangen, fast alle Verbote ignoriert (Abb. l - 3).
Von 1911 bis 1934 wurde für das Markenbild das Alpenrosenmuster verwendet, ab 1. Jan. 1935 erfolgte die Ausgabe der Porträtmarken, und zwar 1935 - 1942 auf geriffeltem Papier, 1943 und 1944 auf glattem Papier. Im NABA-Jahr 1934 erfolgte eine Sonderausgabe des 10 Rp.-Alpenrosenmusters auf geriffeltem weissem Kreidepapier, weil das gewöhnliche weisse Papier ausgegangen war und auf den 1. Jan. 1935 die Neuausgabe der Porträtmarken beschlossen war. In den Besitz oder Genuss dieser seltenen Marke kamen:
a) einzelne Institutionen als Nachlieferung für 1934 im Rahmen ihres Bezugsrechtes, mit ihrer InstitutionsNummer als grosser dünner Aufdruck oben in der Mitte, postfrisch, vorwiegend Postkreis XI (Bellinzona).
b) Die NABA-10 Rappen-Marke ohne Nummernaufdruck oder mit der grossen dünnen Nummer 580 oben links aufgedruckt. Diese Marke war am NABA-Ausstellungsschalter und bei der Wertzeichenverkaufsstelle Bern käuflich. Weil diese Sonderausgabe an beiden Schaltern nur wenig beachtet wurde, musste ein Grossteil der Auflage Ende Jahr vernichtet werden, weil die Frankaturgültigkeit mit der Ausgabe der Porträtsmarke am 1.1.35 erlosch. Darum die Seltenheit dieser Marke.

Abb. 1: ZU Nr. 14 und 15z, Missbrauch für «Eilsendung»

Abb. 2: ZU Nr. 15 und 16z, Missbrauch für «Eingeschrieben»

Abb. 3: ZU Nr. 3, Missbrauch nach Ablauf der Frankaturgültigkeit

Portofreiheits-Marken nur für Sammler
Auf wiederholtes Drängen von Philatelisten-Vereinigungen entschloss sich die OPD, die gleichen Portofreiheitsmarken wie die ordentlichen für Sammler speziell abzugeben. Dies geschah in zwei verschiedenen Ausführungen nur für Sammelzwecke, ohne Frankaturgültigkeit, die Marken wurden nur von der Eidg. Wertzeichenkontroll- und Verkaufsstelle in Bern zum Nennwert verkauft, und zwar:
a) Ohne Nummernaufdruck: alle Arten von Postfreimarken ungebraucht und gestempelt, mind. 20 Stück pro Sorte, von 1911 bis 1944.
b) Mit Nummernaufdruck ab 1. März 1912, nur gestempelt. Diese Nummern stammten entweder
ba) aus Hunderter-Bogen mit fortlaufender Numerierung, vorerst nur 2 Cts-Werte, später alle Wertstufen bis 700, also 7 HunderterBogen
bb) Ab 1.1.26 alle Wertstufen mit grosser Nummer auf total 8 Bogen, mit vertikal geraffter 10er Reihe, z.B. Bogen Nr. I Nr. l - 130, mit den Nummern 1-70 und 101 - 130. Oder Bogen Nr. 5: Nr. 551 - 730, zusammengesetzt aus Nr. 551 - 560, 601 - 660, 701 - 730. Am besten erkennbar im 4-Block beim ersten Bogen: Nr. 61 und 101 übereinander.
bc) Ab 1. Jan. 1935 die Porträtsmarken mit der speziellen SammlerNummer 80 für die 5Rp.-, 580 für die lORp.- und 680 für die 20Rp.- Marke, oben links mit grosser, dünner Nr. aufgedruckt. Diese Spezialnummern waren keiner Institution zugeteilt, und wurden bis 1. Febr. 1944 nur gestempelt, dann auch ungebraucht abgegeben.
Die Zahl der Marken, die an Institutionen abgegeben und an Sammler ab Wertzeichenverkaufsstelle Bern verkauft wurden, war etwa gleich gross, so 1926:

So war die Rechnung für den Bund ziemlich ausgeglichen!