„Kerzerz — Annexionsgelüste der Berner?" Eine Ergänzung

Ich habe den interessanten Artikel von Herrn Paul E. Heiniger über „Kerzerz - Annexionsgelüste der Berner?" mit viel Aufmerksamkeit gelesen und möchte dem Verfasser dazu recht herzlich gratulieren. Wenn ich mir erlaube, mich diesbezüglich zu Wort zu melden, so deshalb, weil ich zum Thema „Kerzers" etwas beifügen möchte und weil ich, gestützt auf einen Beleg aus meiner Sammlung, die Meinung von Herrn Heiniger in einem Punkt etwas korrigieren muss.

Es ist eigentlich nicht verwunderlich, dass Altmeister Jean Winkler den Kursivstempel „Kerzerz" (Wi 2563) dem Kanton

Freiburg zugeschrieben hat. Kerzers (auf französisch Chietres) ist eine bedeutende Ortschaft im freiburgischen Seebezirk und es wird ihm niemand verargen, dass er mit vielen anderen - auch ich zähle mich zu diesen — nicht gewusst hat, dass es auch ein bernisches Kerzerz gibt (oder gab?), welches die Ortschaften Wileroltigen, Gurbrü, Golaten und Stämpflishäusern umfasst. Auch die Tatsache, dass es sich hier um eine für den Kanton Freiburg ungewöhnliche Kursivform handelt, brauchte ihn nicht hellhörig zu machen. Wohl sind im Kanton Freiburg nur zwei Orte bekannt, die Kursivstempel besassen. Zu diesen gehört nebst Dompierre aber ausgerechnet Kerzers und zwar in der französischen Version "Chietres" (Wi 2561

im Gebrauch von 1835-1847). Winkler dürfte deshalb angenommen haben, dass das deutschsprachige Kerzers sich 1847 auf seine Deutschsprachigkeit zurückbesann und das kursive "Chietres" mit dem kursiven „Kerzerz" ersetzte. 11 Weniger begreiflich ist allerdings, dass zu gleicher Zeit (1847) noch ein anderer Stempel in deutscher Sprache, nämlich „Kerzers" im Achteck (Wi 2562) in Gebrauch genommen wurde.

Mit den Recherchen von Herrn Heiniger ist nun die Frage geklärt. „Kerzers" und „Kerzerz" sind nicht ein- und dasselbe was aus dem hochinteressanten Brief des Golatenboten Kaspar Bracher eindeutig hervorgeht.

Neckischerweise ist aber auch das freiburgische "Chietres", bzw. „Kerzers" nicht ganz ohne Probleme. Wie mir die bekannte Spezialistin für freiburgische Postgeschichte, Frau Jacqueline Niquille, neulich mitteilte, erhielt Kerzers gemäss Aufzeichnungen im Archiv der PTT erst im Jahre 1849 eine Postablage. Nun wissen wir aber, dass der Kursivstempel "Chietres" bereits ab 1835, der Langstempel „Kerzers" im Achteck ab 1847 in Gebrauch war. Drängt sich damit nicht der Verdacht auf, dass auch die beiden freiburgischen Kerzers-Stempel Botenstempel waren (für letzteren eventuell nur bis zur Eröffnung der Ablage im Jahre 1849)? Frau Niquille ist im Begriffe, diesen Fragen nachzugehen. Hoffentlich wird sie uns hierüber recht bald Genaueres zu berichten haben.

Aber nun zurück zum bernischen Stempel „Kerzerz" (Wi 2563). Herr Heiniger vertritt die Auffassung, dass dieser Stempel nur im ersten Halbjahr 1847 verwendet wurde. Er dürfte sich dabei auf zwei Überlegungen stützen. Einmal sind ihm wohl nur Belege aus dieser Zeit bekannt. Zweitens hat er sehr logisch gefolgert, dass mit dem Eintreffen des so sehnlichst erwarteten Stempels „Bernisch Kerzerz" anfangs Juli 1847 der alte Stempel ausgedient hätte. Dem ist aber in Wirklichkeit nicht so. In meiner Sammlung Freiburger Abstempelungen befindet sich ein Brief vom 16. Mai 1851 von Wileroltigen nach Laupen, frankiert mit einer Rayon I dunkelblau. Die Marke ist entwertet mit einem PP im Kästchen und daneben sitzt unverkennbar der Kursivstempel „Kerzerz" (Wi 2563). Wie die übrigen Kerzerz-Briefe, trägt auch dieser rückseitig den Zweikreisstempel von Gümmenen (Abb.). Damit ist eindeutig bewiesen, dass der Kursivstempel „Kerzerz" entgegen der Annahme von Herrn Heiniger weit länger als nur im ersten Halbjahr 1847 im Gebrauch war. Erwiesen ist aber auch — und das hat Herr Heiniger ganz klar gemacht — dass sich in meinen Freiburger Abstempelungen während Jahren ein bernisches Kuckucksei unbemerkt verborgen hielt.

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